Gedankenprotokoll zur Bestellung der Autonomen Referate am 19.08.2014
Mein Name ist Andrea Lehmann, ich bin amtierendes Mitglied des Präsidiums des Studierendenparlaments der Bergischen Universität Wuppertal sowie Gruppenvorsitzende der örtlichen LHG (Liberale Hochschulgruppe).
Ich möchte im Folgenden meine persönliche Sicht der Ereignisse rund um die Vollversammlungen der Autonomen Referate¹ – welche die Belange anerkannt oder potentiell benachteiligter Studierendengruppen vertreten – der Bergischen Universität Wuppertal vom 19.08.2014 schildern. Auf diesen Vollversammlungen sollten die für die kommende Amtszeit zuständigen Referenten bestellt werden.
Hintergrund für den folgenden Bericht ist die von einigen Parlamentariern der Opposition herausgegebene Pressemitteilung, die der Liste Odeon/Campusbash unterstellt, diese Referate infiltriert und dabei Homosexuelle verspottet zu haben (Link) sowie die daraus resultierende Anzeige gegen Unbekannt seitens der Beschuldigten.
Die folgende Darstellung enthält keine Behauptungen oder Unterstellungen; sie berichtet lediglich die Ereignisse des Tages aus meiner persönlichen Sicht. Der Leser soll sich aus den nachfolgenden Schilderungen ein eigenes Bild machen.
Fachbegriffe aus dem universitären oder hochschulpolitschen Umfeld versuche ich dabei so gut es geht zu erklären.
Am Tag der Neubestellung der Autonomen Referate war ich ebenfalls in Gebäude ME der Uni Wuppertal, Ebene 04, der AStA-Ebene, vor Ort, um bei den zwei, mich betreffenden Autonomen Referaten mitzustimmen.
Nach der Bestellung der Referenten für das Autonome Referat für chronisch Kranke und Behinderte kam einer der drei AStA-Vorsitzenden, Josua Schneider, auf die AStA-Ebene. Er fragte mich, ob das Queerreferat bereits offiziell durch Studierendenparlament und Rektorat beschlossen und genehmigt sei, sodass dort Referenten bestellt werden könnten. Dies bejahte ich und brachte ihm einige Minuten später zusätzlich die entsprechende Amtliche Mitteilung des Rektorats in eines der Referentenbüros. Neben ihm befanden sich dort einige weitere, offenbar ihm bekannte Studierende, und man unterhielt sich über die bevorstehende Bestellung der Autonomen Referate.
Bereits in diesem Kontext fielen nun einige sehr unschöne Worte, besonders bezüglich der bevorstehenden Bestellung der Referenten des Queerreferates. So sagte Schneider in dem dort versammelten Kreis offen, dass er sich, wenn es sein müsse, als homosexuell outen werde, nur um mitstimmen zu können.
Ich verließ den Raum und wunderte mich, wieso er sich als homosexuell outen wollte – zumal, nebenbei bemerkt, die den entsprechenden Studierendengruppen angehörigen Personen sowieso bei den Vollversammlungen der jeweiligen Referate abstimmungsberechtigt sind, und zwar selbstverständlich, ohne sich in Bezug auf ihre sexuelle Ausrichtung outen zu müssen.
Zurück auf der AStA-Ebene begegnete ich einigen Studierenden, die im vergangenen Amtsjahr aktiv in den Autonomen Referaten waren und auch erneut kandidieren wollten. Ich erzählte ihnen, dass sich im Referentenbüro, das ich gerade verlassen hatte, offenbar einige weitere Kandidaten befanden.
Anschließend ging ich für eine Weile in das Sekretariat des AStAs, um dort meinen Aufgaben als Präsidiumsmitglied nachzugehen. Als ich das Sekretariat wieder verließ, lief gerade die Bestellung des Ausländer*Innen Referats. Der Andrang potentiell Wahlberechtigter war wirklich ungewöhnlich groß.
Ich setzte mich etwas Abseits hin und beobachtete die Versammlung. Als sich gerade einer der Kandidaten vorstellte, fuhr mich jedoch Josua Schneider plötzlich an und fragte, warum ich „denen“ – gemeint waren möglicherweise die Autonomen Referenten vom vergangenen Jahr? – von ihrem „Vorhaben“ erzählt habe.
Mir war nicht klar, wieso die bloße Information über eine bestimmte Anzahl von Personen in einem Raum, eine Viertelstunde vor Beginn der Bestellung, derart brisant war und fühlte mich ungerechtfertigt zurechtgewiesen.
Daher ging ich zurück ins Sekretariat und wartete auf die Bestellung der Referate, für dich ich ebenfalls stimmberechtigt bin. Von der restlichen Bestellung des autonomen Ausländer*Innen Referats kann ich also an dieser Stelle nichts berichten.
Ich trat schließlich zur Bestellung der Queerreferenten wieder aus dem Büro. Zu diesem Zeitpunkt standen schon weniger Menschen auf der Ebene. Dennoch wunderte ich mich über die Anwesenheit einiger Personen. Zwar kann man vielleicht auch argumentieren, dass auch Heterosexuelle sich für den Posten als Queerreferent bewerben dürfen. Das plötzliche Bedürfnis nach diesem Engagement erregte in mir dennoch Verwunderung.
Ich setzte mich also auf eine Bank und wartete den Ablauf der Geschehnisse ab. Bei der Anfertigung der Liste der Abstimmungsberechtigen, schrieb ich mich schließlich auf eben jene Liste. Aus welchen Gründen ich mich für das Queerreferat für stimmberechtigt halte, ist jedoch meine Privatsache. Im Folgenden wurde darüber diskutiert, ob diese Liste laut vorgelesen werden dürfe. Da dies jedoch ein Zwangsouting zur Folge hätte, betonte auch der Vorsitzende Schneider, dass dies nicht geschehen dürfe.
Offenbar war ich nicht die Einzige, die sich über die vielen neuen Menschen wunderte, die sich plötzlich an der Bestellung von Autonomen Referenten beteiligen wollten. So wies eine der aktiven Autonomen Referentinnen aus dem vergangenen Jahr explizit auf die Sensibilität dieses Themas hin und warnte davor, die Angehörigkeit zu eine der Minderheiten vorzutäuschen. Als Reaktion darauf stellten sich nun Josua Schneider und Bakr Fadl (ebenfalls von der Liste Odeon/Campusbash) demonstrativ-intim Arm in Arm vor diese Referentin und lachten. Die Szenerie gipfelte schließlich darin, dass Bakr Josua in den Schritt griff.
Das Urteil darüber, ob diese Szene einer wahren, homosexuellen Handlung entsprach oder einer unangebrachten, humoristischen Darstellung dessen, sei dem Leser überlassen.
Schließlich nahmen die beiden sich die Kandidatenliste, um sie unter den Leuten weiterzureichen, damit sich Abstimmungsberechtigte eintragen konnten. Doch auch dieser Vorgang wurde durch einen besonders unangenehmen Zwischenfall unterbrochen. So las Schneider plötzlich laut aus der Liste vor und kommentierte: „Ach, Andrea Lehmann ist ’ne Lesbe?“
Wie unangenehm mir dieser Vorfall war, muss ich nicht näher erläutern. Insbesondere weil dieses Thema kurz vorher noch besprochen wurde und ein solches Verhalten klar abgelehnt wurde, fühlte ich mich beschämt und bloßgestellt.
Es bewarben sich schließlich ca. 6–7 Leute als Referenten für das Queerreferat. Dies machte eine Abstimmung eigentlich überflüssig, da genügend Platz für alle vorhanden war (ein Autonomes Referat kann maximal mit 7 Personen besetzt sein). Josua Schneider bestand jedoch auf eine Abstimmung. Diese lief anschließend übrigens etwas chaotisch ab: In meinen Augen war nicht klar erkennbar, welche der Personen im Raum, die die Hand hoben, wirklich abstimmungsberechtigt waren. Überdies war für mich keine klare Unterscheidung zwischen Nein-Stimmen und Enthaltungen erkennbar. Über die Ereignisse des Tages hinaus ist es in meinen Augen also fraglich, ob die Wahl letztlich überhaupt gültig war.
Jedenfalls endete die Bestellung schließlich damit, dass alle erfahrenen, Autonomen Referenten aus dem vergangenen Jahr nicht bestellt wurden. Stattdessen jedoch wurde ein einziger neuer Referent in das Queerreferat bestellt. Ich empfand es in diesen Moment als schade, aber auch als merkwürdig, dass neue, engagierte Leute, die jedoch nichts von den bestehenden Projekten und den Strukturen wissen konnten, nicht einen der alten, erfahrenen, Autonomen Referenten als Unterstützung in ihrem neuen Referat bei sich haben wollten.
Nach der Bestellung des Autonomen Queerreferat nahm ich noch an der Bestellung des autonomen Frauenreferats teil, welche schließlich ohne spezielle Vorkommnisse von statten ging.
Hiermit endet mein Gedankenprotokoll zu den Ereignissen dieses Tages.
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¹: Die Autonomen Referate haben laut § 20 (1) der Satzung der Studierendenschaft „grundsätzlich die Aufgabe, die Belange anerkannt oder potentiell benachteiligter Studierendengruppen zu vertreten und daran mitzuwirken, bestehende Nachteile für diese zu beseitigen.“ Nach § 20 (3) sind die „ständigen autonomen Referate […]: Das Ausländerinnen- und Ausländerreferat, das Behindertenreferat, das Fachschaftenreferat, das Frauenreferat und das Queerreferat.“ Letzteres ist erst kürzlich aus dem ursprünglichen Schwulenreferat und dem Frauen- und Lesbenreferat neu entstanden. Die Autonomen Referate haben dadurch laut § 17 (1) ein Mitbestimmungsrecht im AStA sowie das Anrecht, dass ihnen (nach § 20 (3)) „Mittel aus dem Haushalt der Studierendenschaft zwecks Aufgabenerfüllung zur Verfügung gestellt werden.“
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Die LHG Wuppertal verweist an dieser Stelle auch an die in diesem Zusammenhang veröffentlichte .